Geschlechtliche Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht.

Erste Einschätzung zum Referentenentwurf für das SBGG.
Stand: 29.04.2023, aktualisiert 30.04.2023

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Ich habe den Referentenentwurf dieses Gesetzes, das uns als #Selbstbestimmungsgesetz versprochen war, gelesen. Der Gesetzestext und der begleitende Erklärtext sind durchzogen von sexistischen, trans-, inter- und nichtbinär- feindlichen Referenzen und Regelungen. Der Gesetzestext legt implizit eine Unterscheidung zwischen einem vermeintlich wahren, bei der Geburt festgestellten, und einem selbstgewählten Geschlecht fest. Diese Unterscheidung und die Sonderregelungen öffnen eine Tür für Diskriminierung in weiten Teilen des Alltags, die es in dieser Dimension so bisher nicht gab und die in der Folge alle Menschen treffen wird, die aus welchen Gründen auch immer nicht auf den ersten Blick den Normen einer binären Geschlechterordnung entsprechen.

Versprochen war ein Gesetz, dass die Selbstbestimmung des eigenen Geschlechts in den Mittelpunkt stellt. Wir hätten ein Gesetz gebraucht, dass diese Selbstbestimmung verankert und zusätzlich den Schutzbedarf von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen, die in Bezug auf ihr Geschlecht besonders vulnerabel sind, regelt. Der Tonfall des Gesetzes ist ein anderer. Es regelt lediglich die Möglichkeit das Geschlecht selbstbestimmt zu erklären und zu versichern, sich über die Folgen dieser Erklärung bewusst zu sein. Diese Versicherung ist interessant. Was sind die Folgen? Das Gesetz macht es im Folgenden klar – es wird so gut wie kein Schutz formuliert, sondern weite Bereiche des Alltagslebens werden in einer nahezu einmaligen Weise abgesteckt in der Diskriminierung möglich sein soll (Hausrecht, Sport, Gefängnis, Militär, Elternschaft). Es ist zu befürchten, dass, wenn dies so kommt, all die Bereiche, in denen es derzeit TIN-feindliche Diskurse gibt sich nicht beruhigen können, sondern diese Ausschlüsse weiter befeuert werden. Das Argument, dass jeder dieser Punkte vor dem AGG scheitern wird, ist dünn. Dieses Gesetz müsste diesen Schutz formulieren. Es tut es nicht, im Gegenteil.

Es gibt auch positives: Positiv ist, dass der Gutachtenzwang abgeschafft wird. Positiv ist, dass die Änderung des Geschlechtseintrag für alle 4 derzeit im Recht vorgesehenen Geschlechtsoptionen möglich sein soll: weiblich, offener Eintrag, männlich, divers.

Zu den negativen Punkten im konkreten:

– Der Entwurf regelt eine Vielzahl an Bereichen nicht, in denen trans*, inter* und nichtbinäre Menschen Schutz und Unterstützung dringend benötigen. 

– Eine der vulnerabelsten Gruppen – Jugendliche, die keine Unterstützung von ihren Eltern/Erziehungsberechtigten erhalten, werden mit dieser Regelung alleine gelassen. Die vorgesehene Eskalation über das Familiengericht ist eine große Hürde, die nur wenige Jugendliche gehen können. Es führt auch dazu, dass die Konflikte in diesen Familien nicht gelöst werden können mit der all damit einhergehenden Gewalt, die das für die jungen Menschen bedeutet. Das ist verantwortungslos.

– Die Ausführungen zu geschlechtsneutralen Regelungen sind sehr unspezifisch. Ich interpretiere sie so, dass es noch nicht mal eine Absichtserklärung gibt, dass nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen auch nur im Ansatz als gleich an Rechten und Würde anerkannt werden sollen. Es ist zu befürchten, dass die ohnehin hohe Vulnerabilität dieser Personengruppe damit nicht abgebaut, sondern dauerhaft festgeschrieben wird. 

– Für intergeschlechtliche Menschen ist dieser Entwurf in Teilen eine konkrete Verschlechterung der gegenwärtigen Rechtslage (Stichwort: dreimonatige Wartefrist).

– Die dreimonatige Wartefrist ist reine Schikane. Sie stellt keinen Schutz dar. Die Sperrfrist von einem Jahr für eine erneute Änderung sehe ich dagegen weniger problematisch. 

– Der Entschädigungsfonds für das massive Unrecht, das trans Menschen in der Vergangenheit zugefügt wurde (Zwangssterilisierung, Zwangsscheidung, Verlust des Sorgerechts für die eigenen Kinder etc.) ist nicht Teil des Gesetzes.

– Der Text enthält zum Teil massive Verschlechterungen der Rechtslage in Hinblick auf trans* Elternschaft, insbesondere würde trans* Frauen die Anerkennung der eigenen biologischen Kinder erheblich erschwert.

– Die Formulierung, mit der medizinische Leistungen als unabhängig vom Geschlechtseintrag zu ergreifen sind, ist so unspezifisch, dass sie als Schutz nicht greift, aber gleichzeitig diskriminierend ausgelegt werden kann. 

– Das sog. Offenbarungsverbot ist so geregelt, dass es kaum greifen und sehr leicht umgangen werden kann. Für Personen, die nach PStG 45b ihren Geschlechtseintrag angepasst haben, gibt es diesen Schutz weiterhin überhaupt nicht.

– Die Ausführungen zum Entwurf sind zum Teil getragen von transfeindlichen Diskursen – im Abschnitt zum Strafvollzug werden bspw. trans Frauen als Bedrohung geframed, an keiner Stelle wird der fehlende Schutz von trans, inter und nicht-binären Menschen im Strafvollzug erwähnt.


Einen Teil der Änderungen überblicke ich noch nicht. Es gibt – wenn ich das richtig
verstehe – im Passgesetz eine kleine Verbesserung. Chapeau. 

Das ist keine abschließende Analyse, sondern eine erste Einschätzung. 

Ich hoffe wirklich, dass das so nicht kommt. Es wird viel zu sprechen geben über diese Art des politischen Versagens vor rechten Diskursen und Strategien. 

Trans*, inter* und nichtbinäre Rechte sind Menschenrechte. Geschlechtliche Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht. 

#transrightsarehumanrights #interrightsarehumanrights #nonbinaryrightsarehumanrights

Zara Jakob Pfeiffer

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